Die Stiftung zur NS-Zeit

Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring im Jahr 2016 wurden Arbeit und Wirken der Stiftung einer fundierten zeitgeschichtlichen Betrachtung unterzogen. Prof. Dr. Dieter Hoffmann, Wissenschaftshistoriker, bringt mit seiner Publikation „EIN NOBELPREIS FÜR DIE TECHNIK – Zur Geschichte der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring“ Licht ins Dunkel. Hoffmann hat dazu uneingeschränkten Zugang zu öffentlich und privat archivierten Unterlagen erhalten. Der Beitrag wurde in einem Sonderheft der PTB Mitteilung veröffentlicht und ist frei zugänglich.

Im Folgenden finden Sie einen Auszug dieses Beitrags, der die Arbeit der Stiftung im Nationalsozialismus betrachtet.

Die Stiftung und das Dritte Reich

Da die Wahl der Preisträger nicht protokolliert wird und alle Wahlunterlagen, einschließlich der eingereichten Personalvorschläge, satzungsgemäß vernichtet werden, gibt es nur in einzelnen Fällen eine Überlieferung zum Kreis der diskutierten Kandida­ten und den Details der Entscheidungsfindung. Eine solche liegt für die Wahl von Fritz Todt im Jahre 1937 vor. Johannes Stark, seit dem Frühjahr 1933 Präsi­dent der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und damit auch Vorsitzender des Stiftungsrates, hatte am 16. November 1936 durch den Geschäftsführer der Stiftung für den 14. Dezember zur alljährlichen Stif­tungsratssitzung eingeladen und dabei die Mitglieder des Stiftungsrates aufgefordert, bis zum 5. Dezember Vorschläge für den Siemens-Ring einzureichen. Dieser Aufforderung kamen Gerhard Kloss (TH Berlin) und Jonathan Zenneck (Deutsches Museum München) nach, die den Erfinder des synthetischen Kautschuks Fritz Hofmann (Breslau) nominierten; weiterhin lag ein Vorschlag für Friedrich Bergius (Heidelberg) seitens des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes vor. In der Stiftungsratssitzung wurden dann diese Vorschläge durch maßgebliche Intervention des Vorsitzenden mit der Begründung zurückgestellt, dass weder die vorschlagenden Mitglieder noch ein sachkundiger Vertreter der Chemie anwesend sei und „vor allem … die Anträge satzungsmässig nicht rechtzeitig eingegangen sind.“ Letzteres traf zu, denn nach §8 der Satzung waren die „Vorschläge spätestens im Monat Juni des Verleihungsjahres durch den Vor­sitzenden einzufordern“ und diese „mit Begründung spätestens am 1. August an die Geschäftsstelle einzurei­chen“; „spätestens am 15. September“ sollten sie dann den Mitgliedern des Stiftungsrates zugestellt werden. Allerdings hatte hier der Vorsitzende des Stiftungsra­tes selbst bzw. die Geschäftsstelle alle satzungsgemä­ßen Termine nicht eingehalten und zeichnete damit für die Verletzung der Statuten maßgeblich mitverant­wortlich. Es gibt deshalb Grund zur Annahme, dass hinter diesen Regelwidrigkeiten und der Stark’schen Argumentation politisches Kalkül stand. Ein Kalkül, das darauf abzielte, die Siemens-Ring-Stiftung stärker an das nationalsozialistische Herrschaftssystem zu binden und sie auf spezielle Weise gleichzuschalten. Die Jahre 1933 bis 1936 waren nicht nur im politi­schen Bereich durch eine rigide Durchsetzung des nationalsozialistischen Machtanspruchs und die Errichtung der NS-Diktatur gekennzeichnet, es waren auch die Jahre, in denen wissenschaftliche Institu­tionen und Vereine gleichgeschaltet wurden. Die Gleichschaltungsgesetze vom März und April 1933 hatten zwar die „Zentralisierung der Staatsmacht nach dem Führerprinzip“ im Fokus, doch fanden sie sehr schnell auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und namentlich im Vereinswesen breite Anwendung. Da dies weitgehend freiwillig und aufgrund von politischem Opportunismus geschah, kann man von Selbstgleichschaltung sprechen. Diese zielte darauf, gleichartige Vereinigungen unter einem Dach zusam­menzuführen und zu zentralisieren und damit der NSDAP zu unterstellen. Hierdurch konnten dann die Kernpunkte der NS-Herrschaft, das Führerprinzip sowie die rassistischen und politischen Diskrimi­nierungsmaßnahmen, durchgesetzt werden. In den ersten Jahren des Dritten Reichs waren es im Bereich von Wissenschaft und Technik insbesondere die großen und einflussreichen wissenschaftlich-techni­schen Vereine und Gesellschaften, die im Zentrum der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik standen. Mit dem Ziel, „die technisch-wissenschaftliche Arbeit in den Dienst der nationalsozialistischen Wirt­schaftsordnung zu stellen“, schlossen sich im Juni 1933 der Verein Deutscher Ingenieure und andere Ingenieurvereinigungen zur Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit (RTA) zusam­men, die von maßgeblichen Vertretern des NSDAP kontrolliert wurde. Zu jenen maßgeblichen NSDAP-Funktionären gehörte Fritz Todt, der zu den frühen Gefolgsleuten des Nationalsozialismus und nament­lich Hitlers gehörte und 1933 ins mächtige Amt des Generalinspekteurs des deutschen Straßenwesens aufgestiegen war; im Dezember 1933 übernahm er auch das Präsidentenamt der RTA. In dieser Funktion forcierte er die weitere parteiamtliche Umgestaltung bzw. Zusammenfassung des wissenschaftlich-tech­nischen Vereinswesens, was 1936 zur Gründung des Nationalsozialistischen Bunds Deutscher Technik (NSBDT) führte, eines Zusammenschlusses aller technisch-wissenschaftlicher Verbände. Mit dem NSBDT sicherte sich die NSDAP den totalen Zugriff auf das technische Vereinswesen, da dieser direkt dem Amt bzw. dem Hauptamt für Technik der NSDAP unterstellt wurde; die Leitung von Letzterem nahm ebenfalls Todt wahr.

Da im Stiftungsrat die Vertreter der gleichgeschalteten technisch-wissenschaftlichen Vereine – vom VDI über den VDE bis hin zum VDCh – präsent waren, hatte die Gleichschaltungspolitik natür­lich auch Auswirkungen auf die Siemens-Ring-Stiftung; nicht zuletzt stand ihr mit Johannes Stark ein alter Kämpfer vor, der im Frühjahr 1933 gegen den einhel­ligen Rat der Fachvertreter zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt gekürt worden war. Ungeachtet der Tatsache, dass Stark ein verlässli­cher Garant für die Durchsetzung der Grundprinzipien nationalso­zialistischer Wissenschafts- und Forschungspolitik war, zeichnete sich seine Amtsführung sowohl in der Reichsanstalt wie auch bei der Siemens-Ring-Stiftung durch eine gewisse Eigenwilligkeit und Spon­taneität aus – beispielsweise bei der Wahl des neuen Ringträgers. Nachdem man auf der Stiftungs­ratssitzung des Jahres 1932 die eigentlich anstehende Wahl des neuen Ringträgers wegen Mangels an Vorschlägen auf das nächste Jahr aufgeschoben hatte, stand diese nun für die Sitzung am 13. Dezember 1933 an und gehörte zu den ersten Amtshandlungen des neuen Stiftungsrats-Vorsitzenden. Stark forderte satzungsgemäß am 23. Oktober 1933 per Rundschrei­ben die Mitglieder des Stiftungs­rats auf, bis zum 6. Dezember d. Js. Vorschläge für die anstehende Auszeichnungsrunde zu unter­breiten. „Die Vorschläge sollen mit einer Begründung versehen sein, die ich im Umlauf sämtlichen Mitglie­dern des Stiftungsrates noch recht­zeitig vor der diesjährigen Sitzung am 13. Dezember d. Js. zur Kennt­nis geben werde.“ Leider ist nicht überliefert, ob und wie viele Preis­vorschläge eingingen. Bekannt ist lediglich das Votum von Stark selbst, das unmittelbar vor der Sitzung des Stiftungsrats abgege­ben wurde und lautete, „Herrn Gaede in Karlsruhe i.B. den Sie­mens-Ring wegen seiner Verdienste um die Wissenschaft und Industrie zu verleihen … Diese Verdienste bestehen in der Konstruktion einer Reihe von Luftpumpen … Diese Luftpumpen ermöglichen große Fortschritte sowohl in der Wissen­schaft wie in der Industrie auf allen Gebieten, auf deren rasch und leicht hohe Gasverdünnungen herzustel­len sind.“ Auf der turnusmäßigen Stiftungsratssitzung wurde dann dieser Vorschlag bestätigt – wie das Protokoll vermerkt: „nach ein­gehender Aussprache … auf Antrag des Vorsitzenden“.

Gaede fand in Stark einen mäch­tigen Protagonisten, was nicht verwundert, denn dieser bekannte in seinen Lebenserinnerungen: „Ich selbst hätte meine Entdeckun­gen jedenfalls nicht so schnell, wie es der Fall war, durchführen können, wenn ich Gaedes Pumpen nicht zur Verfügung gehabt hätte.“

Allerdings fiel die Auszeichnung in eine Zeit, als Gaede in Konflikt mit der NSDAP stand – zumin­dest mit den lokalen Vertretern in Karlsruhe, wo er an der dortigen Technischen Hochschule seit 1919 als Ordinarius und Direktor des Physikalischen Instituts wirkte. Im Sommer 1933 sah er sich natio­nalsozialistischen Verleumdungen und Denunziationen ausgesetzt, die offenbar von Mitarbeitern des Instituts ausgingen und ihn beschuldigten „in privaten Gesprächen vor der Entfernung der jüdischen Gelehrten von den deutschen Hochschulen gewarnt zu haben“; auch wollte man wissen, dass Gaede sich mit ehemaligen Politikern der Weimarer Republik zu einer Skitour auf dem Feldberg getroffen habe. Für das in Baden mit hoher Auflage erscheinende nationalsozialistische Kampfblatt „Der Führer“ war es deshalb an der Zeit, „dass dieser Professor von der Hochschule verschwindet.“ Das politische Kesseltreiben führte dazu, dass Gaede im Herbst 1933 durch das badische Kultusministerium „wegen politischer Unzu­verlässigkeit“ aus seiner Professur entlassen wurde; das berüchtigte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ diente dabei als juristische Handhabe. Wie man aus dem Briefwechsel zwischen Stark und Philipp Lenard weiß, war Stark seit September 1933 über die Vorgänge in Karlsruhe infor-miert101 und hatte zusammen mit Lenard versucht, sich auf ministeri­eller Ebene für Gaede einzusetzen und diesen vor unnötigen und vielleicht auch ungerechtfertigten Übergriffen der Parteibürokra­tie schützen. Starks Motiv war mitnichten ein Akt politischer Solidarität, sondern der Tatsache geschuldet, dass Gaede Starks Vorstellungen eines Naturforschers entsprach, dessen experimentelle Forschungen und technische Erfindungen kaum Berührung mit der modernen Physik und ihren abstrakten Theorien wie der Relativitäts- und Quantentheorie hatten, die damals gerade von den Vertre­tern der sogenannten Deutschen Physik als vermeintlich „jüdi­sche Physik“ denunziert wurden. Sein Einsatz galt dem „deutschen Forscher“ Wolfgang Gaede, der mit seinen Vakuumpumpen nicht zuletzt Starks Forschungen selbst entscheidend befördert hatte.

Als Starks und Lenards Versu­che, Einfluss auf die ministerielle Entscheidung zu nehmen, keine Wirkung zeigten, hat Stark offen­bar in seiner Stellung als Vorsitzen­der des Stiftungsrats der Siemens-Ring-Stiftung alles darangesetzt, Gaede die renommierte Auszeich­nung zukommen zu lassen und ihm so gegenüber den Angriffen von „Heißspornen der Partei“ und „üblen Denunzianten“ den Rücken zu stärken. Die Auszeich­nung mit dem Siemens-Ring gab Gaede – wie er in seinem Dankes­brief an Stark vom Dezember 1934 bekannte – „in einer Zeit (der) Bedrängnis eine sehr grosse morali­sche Stütze“; bereits unmittelbar nach der Bekanntmachung der Auszeichnung hatte er im Dezem­ber 1933 gegenüber seinem Kölner Kollegen M. Dunkel seiner Freude Ausdruck gegeben „über die ihm zu Teil gewordene Auszeichnung, die ihm die unerfreulichen Ereignisse der letzten Zeit vergessen lässt.“

Die hohe Auszeichnung hat Gaede sicherlich ermutigt, sich gegen seine Entlassung zur Wehr zu setzen. Allerdings konnte er seine Rückkehr in den Staatsdienst nicht durchsetzen, doch erreichte er, dass er im Frühjahr 1934 ledig­lich „im Interesse des Dienstes“ aus dem Staatsdienst entlassen wurde und unbehelligt in die Industrie wechselte.

Starks Einsatz für Gaede war also alles andere als eine Widerstands­haltung gegen die nationalsozialis­tische Gewaltherrschaft, die neben Gaede auch viele andere Gelehrte aus ihren Ämtern vertrieben und in die Emigration getrieben hat. Sein Verhalten war vielmehr gegen die Parteibürokratie und die „Heißsporne der Partei“ gerich­tet. Darüber hinaus ging dies mit seinem Wissenschaftsverständnis konform, das sich zwar gegen die moderne „jüdische“ Physik richtete und auch hasserfüllte und denun­ziatorische Injurien gegen Gelehrte wie Max Planck oder Albert Einstein einschloss, doch Physi­kerkollegen, die einen klassischen Experimentier- und Forschungsstil pflegten, ihre Anerkennung selbst dann nicht versagten, wenn sie wie im Falle Gaedes in Grenzen politisch gegen den Stachel gelöckt hatten oder – wie im Falle des Ber­liner Physikordinarius’ und Nobel­preisträgers Gustav Hertz – gar jüdischer Herkunft waren. Als man Hertz 1935 wegen seiner jüdischen Vorfahren die Prüfungsberechti­gung entzog und er aus dem Amt gedrängt wurde, hatte sich Stark ebenfalls für diesen beim zustän­digen Erziehungsministerium (erfolglos) eingesetzt.

Dass solche vermeintliche Solidarität enge Grenzen hatte, zeigt auch das Beispiel Gaede, denn eine Berufung Gaedes an die Kölner Universität und somit seine volle Rehabilitation wollte Stark indes nicht unterstützen. Vielmehr befürwortete er dessen Wechsel in die Industrie und stellte gegenüber Lenard klar: „Ich werde auch nichts mehr für ihn tun.“ Trotz solcher Eigenwilligkeiten und gelegentlicher Widerspens­tigkeit war Stark ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und verlässlicher Garant für die Durchsetzung der Grundprinzi­pien national sozialistischer Wissenschafts- und Forschungspolitik. Dies zeigt sich speziell in seiner Amtsführung im Zusammenhang mit der Preisträgerwahl 1936/37. Wie oben bereits erwähnt, war 1936 durch das Votum Starks die Wahl zurückgestellt worden, doch stand sie 1937 erneut auf der Tagesordnung. Diesmal standen fünf Vorschläge – satzungsge­recht eingereicht – zur Debatte, die des Vorjahres mit Hofmann und Bergius sowie Vorschläge für den Chemiker und Pionier der Kohle-Hydrierung (Fischer-Tropsch-Verfahren) Franz Fischer, der von Wolfgang Gaede einge­reicht worden war, für den Ver­fahrenschemiker Alfred Pott, dem die Verfahrenstechnik neuartige Verfahren zur Herstellung flüs­siger Kohlenwasserstoffe (Pott-Broche-Verfahren) verdankt. Es war eine Nominierung des Vereins der Gas- und Wasserfachmänner; als fünfter Kandidat stand Fritz Todt zur Wahl, den die Deut­sche Gesellschaft für Bauwesen zum Vorschlag gebracht hatte. In der Stiftungsratssitzung vom 13. Dezember 1937 wurde schließlich Fritz Todt zum neuen Ringträger gekürt, wobei man sich relativ schnell auf ihn einigen und er alle Stimmen des Stiftungsrats auf sich vereinigen konnte. So das offizi­elle Protokoll der Sitzung, doch scheint die Wahl nur etwas bestä­tigt zu haben, was offenbar zuvor schon abgesprochen bzw. vom Vorsitzenden Stark geplant worden war. In einem Brief des Geschäfts­führers der Stiftung Georg Freitag an Stark vom 26. November 1937 regt dieser an, „Todt zum traditio­nellen Festbankett im Anschluss an die Stiftungsratssitzung einzuladen, damit ihm auf diesem Essen die Verleihung des Siemensrings (die ja wohl wahrscheinlich ist) verkündet werden kann.“ Todt wurde, laut Begründung des Stiftungsrates, der Siemens-Ring verliehen, weil „er des Führers großen Gedanken der Schaffung von Reichsautobahnen mit wissenschaftlichen Methoden technisch verwirklicht habe.“ Darüber hinaus vermerkt das Sit­zungsprotokoll die Anregung von Max Kloss, Vertreter der TH Berlin-Charlottenburg im Stiftungsrat, „auch zu erwähnen, daß sich Herr Dr. Todt durch die Zusammen­fassung der gesamten technisch-wissenschaftlichen Vereine zum gemeinsamen Einsatz im Dienst für das Gemeinwohl ebenfalls große Verdienste erworben habe.“ Die Widmung, die traditionsgemäß auf der Kassette des Siemens-Ring eingraviert wurde, lautete dann politisch überkorrekt und mit falschem Pathos: „Dem Erbauer der Strassen des Führers Dr.-Ing. F. Todt“. Im Übrigen haben neuere technikhistorische Forschungen gezeigt, dass die bis heute weit verbreitete Meinung, dass Todt der Visionär und Erbauer der deut­schen Autobahnen war, mehr der nationalsozialistischen Propaganda als den historischen Tatsachen ent­spricht und ein Mythos ist, da mit der Planung und dem Aufbau eines Netzes von Reichsautobahnen bereits in der Weimarer Republik begonnen worden war.

Wird Todts Rolle als Vater des deutschen Autobahnbaus über­höht, bleibt dessen wissenschafts­politisches Engagement in der offiziellen Begründung für die Ver­leihung des Siemens-Rings unge­nannt und findet auch bei späteren Würdigungen des Preisträgers kaum Erwähnung. Herausgestellt wird der Ingenieur und techni­sche Experte, wobei die politische Dimension und Motivation des Autobahnbaus absichtsvoll verges­sen wird. Darüber hinaus ist Todts Tätigkeit als Ingenieur nur unter Beachtung seiner herausgehobenen Stellung innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu verstehen. Todt zählte nicht nur schlechthin zur technokratischen Führungselite des Dritten Reiches, sondern er hatte so viele Staats-und Parteiämter auf sich vereinigt wie kaum ein anderer Naziführer und repräsentierte damit eine außergewöhnliche Machtfülle. Gleichzeitig war er jemand, der die Erhöhung des gesellschaftli­chen Status’ des Technikers und Ingenieurs und seines öffentlichen Ansehens stets mit den politischen Implikationen des Ingenieurberufs verknüpft wissen wollte und dies nicht zuletzt im parteipolitischen Rahmen propagierte. Für ihn hatte der Ingenieur nicht nur fachlich, sondern immer auch politisch – und das hieß im Sinne des Nati­onalsozialismus – zu handeln. Ausgeprägter Technikkult, überstei­gerter Nationalismus und fanati­sche Hitlerverehrung bildeten so ein unauflösliches Amalgam seiner Weltanschauung und seines Han­delns. Nicht zufällig stieg er nach der nationalsozialistischen Macht­übernahme und insbesondere seit Verkündung des Vierjahresplans (1936), der Deutschland autark und kriegsfähig machen sollte, zu einem der mächtigsten Männer des Dritten Reiches auf. Ab 1940 koordinierte er als Reichsminister für Bewaffnung und Munition die gesamte deutsche Kriegswirtschaft, und auch nach seinem zu vielfälti­gen Spekulationen Anlass gebenden Unfalltod im Februar 1942 blieb er eine Symbolfigur des Dritten Reiches, wurde zu einem Mythos, der bis in die jüngste Vergangenheit hinein von der Legende des unpoli­tischen Technokraten und kompe­tenten Fachmanns gespeist wird.

Dass die Verleihung des Rings an Fritz Todt alles andere als unpo­litisch, vielmehr von politischem Opportunismus geleitet war, macht auch die Tatsache deutlich, dass man sich bereits in den Jahren zuvor intensiv um ihn bemüht und in die Arbeit der Stiftung einzubinden versucht hatte. Damit trug man genau jenen Prozessen Rechnung, die im Zusammen­hang mit der Zusammenfassung bzw. Gleichschaltung der gesam­ten technisch-wissenschaftlichen Vereine standen. Todt war hier der zentrale Akteur, mit dem die Sie­mens-Ring-Stiftung zu kooperieren suchte; zumal die Neuordnung des Vereinswesens auch ganz direkte Auswirkungen auf die Zusammen­setzung des Stiftungsrates besaß. So waren der Verband Deutscher Hochschulen, der Verband Deut­scher Architekten- und Ingenieur-Vereine und der Deutsche Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine aufgelöst worden bzw. in NS-Organisationen, namentlich in den Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik aufgegangen. Auf der Stiftungsratssitzung 1937 und wahrscheinlich schon zuvor in internen Diskussionen wurde angeregt, dass deshalb der NSBDT Mitglied des Stiftungsrates werden sollte. In einem Brief an Stark vom 25. Januar 1938 teilte Todt dem Stiftungsratsvorsitzenden mit: „Ihren Vorschlag, daß der NS-Bund Deutscher Technik im Stiftungsrat der Siemens-Ring-Stiftung vertreten ist, begrüße ich sehr. Die einfachste Lösung ist die von Ihnen vorgeschla­gene, daß ich selbst die Vertretung des NS-Bundes Deutscher Technik übernehme.“

Damit hatte Todt ein weiteres Amt, wobei er dem Gremium eigentlich schon als frisch gekürter Träger des Siemens-Rings ange­hörte. Der Kontakt zu Todt war auch schon in den Jahren zuvor gesucht worden – beispielsweise suchte man seine Unterstüt­zung, um in der Walhalla eine Siemens-Büste aufzustellen. In diese Bemühungen hatte man im Übrigen nicht nur Todt, sondern auch andere einflussreiche NS-Politiker wie den Postminister Wilhelm Ohnesorge einzubeziehen gesucht; allerdings ohne Erfolg, wie überhaupt zwischen 1933 und 1945 nur eine Büste, die des Kom­ponisten Anton Bruckner, in der Ehrenhalle aufgestellt wurde.

Todt war jedoch vor allem als Verbündeter für die Idee des Stiftungsrats gefragt, dem Siemens-Ring durch eine repräsentativere und öffentlichkeitswirksame Verleihungszeremonie zusätzliche Anerkennung und Aufmerksam­keit zu verschaffen sowie ihn zum Staatspreis aufzuwerten. Nachdem Hitler aber im Januar 1937 den Nationalpreis für Kunst und Wis­senschaft – in Reaktion auf die Ver­leihung des Friedensnobelpreises an den Publizisten und Nazi-Gegner Carl von Ossietzky – als höchste Friedensauszeichnung des national­sozialistischen Deutschen Reiches gestiftet und damit die „Annahme des Nobelpreises für alle Zukunft Deutschen untersagt“ hatte, kam die Stiftung eines weiteren Staatspreises nicht mehr in Frage und die Idee musste ad acta gelegt werden. Auch in der Frage einer größeren öffentlichen Verleihungs­zeremonie, wobei eine Kopplung mit dem Tag der deutschen Technik oder der Jahrestagung des Deut­schen Museums angedacht waren, kam man nicht weiter, sodass es bei der vergleichsweise intimen „Nach­sitzung“ zur Stiftungsratssitzung mit einigen Dutzend handverlesenen Teilnehmern und in Gestalt eines Festessens oder einer Vortrags­veranstaltung blieb – zumal sehr schnell der Kriegsausbruch ganz andere Prioritäten setzte.

Ansonsten wurde auch im Dritten Reich das Tagesgeschäft der Stiftung betrieben und insbe­sondere die Siemens-Bilder und Franzius-Plaketten alljährlich an Best-Studenten verliehen; jüdische Studenten waren natürlich nicht mehr vertreten. Da es weder unter den Preisträgern noch unter den anderen Mitgliedern des Stiftungs­rates jüdische Wissenschaftler gab, blieb es der Stiftung im Frühjahr 1933 „erspart“, Konsequenzen aus dem berüchtigten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbe­amtentums zu ziehen. Lediglich Wilhelm Schlink und Wilhelm Urban räumten 1933 ihren Platz im Stiftungsrat – der eine wegen der partiellen Umstrukturierung des ihn entsendenden Reichsverban­des deutscher Hochschulen und Urban, weil er seitens des Verban­des Deutscher Chemiker gegen den neuen Vorsitzenden Paul Duden ausgetauscht wurde. Satzungsän­derungen, wie sie im Dritten Reich bei vielen Einrichtungen oder Ver­einen aufgrund der neuen politi­schen Verhältnisse üblich waren, beschränkten sich bei der Siemens-Ring-Stiftung im Wesentlichen auf die Aktualisierung des Kreises der Stiftungsratsmitglieder; eine andere Frage war natürlich – wie der Wahlvorgang für den Siemens-Ring für Todt zeigt – die korrekte Einhaltung der Satzung. Der weitreichendste politische Eingriff in die Satzung bestand wohl in der Erweiterung bei der Verleihung des Siemens-Bildes und der Franzius-Plakette auf die Hochschulen der Ostmark und des Sudetengaus, einschließlich der Deutschen Tech­nischen Hochschule in Prag (statt allein für „die technischen Hoch­schulen in Deutschland“). Das war zwar auch eine Legitimierung der aggressiven Expansionspolitik Hitler-Deutschlands, doch alles andere wäre natürlich politisch unrealistisch gewesen. Eine Neu­erung, mit der die Aktivitäten der Siemens-Ring-Stiftung erweitert wurden, bestand 1937 in der Aus­lobung eines Preisausschreibens für „die beste Biographie eines ver­storbenen großen deutschstämmigen Ingenieurs“, das mit einem Preis­geld von 1000 RM dotiert war. Das Preisausschreiben geht auf eine Anregung von Conrad Matschoß zurück und folgte dessen Diktum: „Gute Biographien haben zur Pflege des Andenkens an unsere großen Toten aus dem Reich von Naturwissenschaft und Technik mit die größte Bedeutung“.

Das Preisausschreiben stieß auf recht große Resonanz und für die Jahre 1938, 1939 und 1940 wurden insgesamt fünf Biografien ausgezeichnet. Angesichts des Erfolgs beschloss der Stiftungsrat 1939, das Preisausschreiben für drei weitere Jahre bis 1943 zu verlängern, und in diesem Zeitraum wurden weitere vier Arbeiten prämiert. Allerdings blieben die preisgekrönten Biografien kriegs­bedingt unpubliziert. Zu den technikhistorischen Initiativen der Stiftung gehört auch die Förderung einer Neuausgabe von Otto Guerickes Schrift „Nova Experimenta“, die seit Mitte der dreißiger Jahre betrieben wurde. Dabei spielte sicher eine Rolle, dass Guericke mit seinen Luftpumpen nicht nur zu den maßgeblichen Begründern der Vakuumtechnik gehört und seine Nova Experimenta zu den program­matischen Texten der wissenschaft­lichen Revolution zählt, sondern Guericke zudem im nationalsozialis­tischen Deutschland zum deutschen Naturforscher hochstilisiert wurde und das Deutsche Museum in München ihm anlässlich seines 250. Todestages im Jahre 1936 auch eine Sonderschau widmete. Allerdings konnte die Neuausgabe der Nova Experimenta nicht zum Abschluss gebracht werden. Neben diesen technikhistorischen Aktivitäten fand das Gedenkstätten-Programm der Stiftung seine Fortsetzung – so wurde in Ulm ein Denkmal für Max Eyth errichtet (1933), eine Gerber-Plakette an dessen Geburtshaus in Hof angebracht (1934) und das Grabmals des mecklenburgischen Erfinders Ernst Alban in Plau restauriert (1941). Überhaupt lässt sich feststellen, dass die technikhis­torischen Vorhaben der Stiftung im Dritten Reich Konjunktur hatten, was nicht allein mit den Vorlieben und Initiativen von Conrad Matschoß zu erklären ist, sondern wohl auch der Tatsache geschuldet war, dass die historische Rückbesinnung in totalitären Gesellschaften immer wichtiger Teil der eigenen Legiti­mierung darstellt. Darüber hinaus sind wissenschaftshistorische bzw. technikhistorische Darstellungen ein bevorzugtes Objekt für nationa­listische bzw. politische Instrumen­talisierungen. Beleg dafür ist der (allerdings nicht realisierte) Vor­schlag, eine Biografie über Heinrich Göbel zu fördern, dessen „Verdienste um die Entwicklung der Glühlampe von Amerika und England angezwei­felt werden.“

Am 13. Dezember 1942 kam der Stiftungsrat im Hotel Kaiserhof in Berlin wohl zu seiner letzten Sitzung zusammen, und im Anschluss daran wurde im Rahmen einer kleinen Festveranstaltung der Ring an den Jenaer Physiker und Ingenieur Walther Bauersfeld verliehen – für seine Verdienste um die Entwick­lung des Zeiß’schen Projektions­planetariums und die Konstruktion von Hallen in Schalenbauweise. Die Wahl von Bauersfeld war im Übrigen auch nicht satzungskon­form erfolgt, geht sie doch auf den alleinigen Vorschlag von Abraham Esau zurück. Esau hatte im Sommer 1939 Stark im Stiftungsvorsitz abge­löst und gehörte wie sein Vorgänger zu den frühen Anhängern des Nati­onalsozialismus sowie zu den mäch­tigsten Wissenschaftsmanagern des Dritten Reiches. Esau ließ sich seinen Vorschlag lediglich im Vorfeld der Stiftungsratssitzung von „einem größeren Teil der Mitglieder des Stiftungsrates, vor allem soweit sie in Berlin wohnen“, bestätigen. Ob dies, wie das Protokoll vermerkt, „mit Rücksicht auf die Kriegsverhält­nisse“ geschah oder Esaus spezielle Interpretation des Führerprinzips war, bleibt unklar.

Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach der Zerschlagung des Dritten Reiches und der Besetzung Deutschlands durch die alliierten Siegermächte wurden nicht nur die NSDAP und ihre nachgeordneten Organisationen verboten, sondern vom Alliierten Kontrollrat wurden auch alle wis­senschaftlichen Gesellschaften aufgelöst bzw. ihnen jegliche Aktivitäten untersagt. Davon war auch die Siemens-Ring-Stiftung betroffen. Allerdings setzten schon sehr bald Bemühungen ein, das wissenschaftli­che Vereinsleben in Deutschland neu zu beleben, und etliche Gesellschaften nahmen bereits 1946/47 ihre Tätigkeit wieder auf bzw. gründeten sich neu – so der Verein Deutscher Ingenieure, der sich im Frühjahr 1947 neu konstituierte, oder die Regionalverbände der Physikalischen Gesellschaft. Nachdem auch 1948 der Träger der Stiftung, die PTR, als Physikalisch-Technische Anstalt (ab 1949 dann Physikalisch Tech­nische Bundesanstalt, PTB) in den Westzonen ihre Tätigkeit wieder aufgenommen hatte, setzten an der Wende zu den fünfziger Jahren gezielte Initiativen ein, auch die Siemens-Ring-Stiftung wieder neu zu beleben. Zunächst ging es um die treuhänderische Verwaltung des bescheidenen Restvermögens der Stiftung, deren Bücher bis 1945 vom VDI geführt worden waren – wie die manch anderer ihm nahestehender Organisationen. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, nach wie vor der offizielle Sitz der Stiftung, setzte Anfang 1951 den Berliner Rechtsanwalt Hans Zemlin als Notvorstand und zur treuhänderischen Verwaltung der verbliebenen Stiftungsgelder und Wertpapiere ein. Dieser sicherte nicht nur das verbliebene Vermögen der Stiftung, sondern begleitete auch die nach der Währungsreform nötige Umstellung des Vermögens, und vor allem war er Ansprechpartner für die Wiederaufnahme der Tätigkeit der Siemens-Ring-Stiftung. Hierzu gab es seit den späten vierziger Jahren erste Initiativen bzw. Anre­gungen, die sowohl seitens des Unternehmens und der Familie Siemens136, aber auch durch den 1948 wieder gegründeten Deutschen Verband Technisch-Wissen­schaftlicher Vereine (DVT) betrieben wurden. Daran beteiligt war nicht zuletzt der ehemalige Geschäftsfüh­rer des DVT Georg Freitag, der auch die Geschäfte der Stiftung geführt und der nach dem Krieg seine Tätig­keit beim DVT und VDI fortgesetzt hatte. Entschei­dend war aber wohl die Initiative Jonathan Zennecks vom Deutschen Museum, der im Spätsommer 1952 „nach Rücksprache mit der Familie Siemens“ den Präsidenten der PTB Richard Vieweg aufforderte, „die ersten Schritte zu unternehmen, um die Siemens-Ring-Stiftung wieder wirksam werden zu lassen.“. Vieweg lud daraufhin brieflich den einzigen noch lebenden Träger des Siemens-Rings Walther Bauersfeld „sowie diejenigen Institute und Körperschaften, die früher einen Vertreter in den Stiftungsrat der Siemens-Ring-Stiftung entsandt hatten“, zu einer Vorbesprechung in die PTB nach Braunschweig, dem neuen Standort der Bundes­anstalt, ein. Mit Vieweg, der 1951 das Präsidenten­amt der PTB übernommen hatte, machte nicht nur eine hochrangige und durchsetzungsfähige Persön­lichkeit die Interessen der Stiftung zu seinen eigenen, sondern damit war die Stiftung auch wieder mit jener Institution bzw. deren Nachfolgerin verknüpft, die satzungsgemäß den geschäftsführenden Vorsitzen­den des Stiftungsrates und den Vorstand der Stiftung stellte. Der Einladung nach Braunschweig folgten Bauersfeld und Zenneck sowie Vertreter des (offiziell nicht mehr bestehenden) Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes, des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern, der Schiffbautechnischen Gesellschaft, des Deutschen Architek­ten- und Ingenieur-Verbandes und der TU Berlin sowie ein Vertreter der Siemens & Halske AG. Bemer­kenswert ist, dass sowohl der VDI als auch der Verein Deutscher Eisenhüttenleute der Zusammen­kunft fern geblieben waren. Dies wurde zwar mit Terminproblemen begründet, doch scheinen hier auch prinzipielle Gründe maßgebend gewesen zu sein. In einem Brief des VDI-Direktors Hanns Bluhm an Vieweg liest man,

„dass ich selbstverständlich die Wiederaufnahme der Arbeiten der Siemens-Ring-Stiftung begrüsse … Es erhebt sich nur die Frage, ob man, solange die Wissenschaften selbst, insbesondere die technischen Wissenschaften, noch notleidend sind und alle Mittel, die irgendwie aufgebracht werden können, der Förderung von Forschung und Lehre zugeführt werden sollten, nicht doch Erwägungen darüber anstellen soll, solche rein repräsentativen und dekorativen Zweck dienende Ein­richtungen noch eine gewisse Zeit zurückzustellen.“

Ähnliche Bedenken wurden seitens der Eisenhüttenleute geäußert, denn auch im VDEh war man – wie auch schon 1916 – nicht begeistert, „dass gerade jetzt in diesem Augenblick die Stiftung aufgemacht wird … und die Not an allen Ecken und Kanten doch schließlich so groß (ist), dass man es kaum verantwor­ten kann“.

Allerdings war man skeptisch, „ob diese Meinung mit der Meinung der übrigen Herren übereinstimmt, insbesondere mit der der Firma Siemens, die ja ein positives Interesse daran hat, die Siemens-Ring-Stif­tung wieder aufleben zu lassen.“

In der Tat blieben die geäußer­ten Bedenken wie auch das im Stillen geäußerte Ressentiment gegenüber der Firma Siemens ein Minderheitsvotum, denn die große Mehrheit der Gründungsmitglie­der sprachen sich für eine schnelle Wiederaufnahme der Stiftungstä­tigkeit aus, um so „der Vernach­lässigung kultureller Belange in der Jetztzeit“ entgegenzuwirken und „in der breiten Öffentlichkeit die Bedeu­tung von Naturwissenschaft und Technik wirkungsvoll (zu) unter­streichen“; nicht zuletzt sollte „der Nachwuchs auf die grossen Vorbilder wieder hingewiesen werden.“

Mit einem solchen Votum aus­gestattet, lud Vieweg der Tradition folgend bereits zum 13. Dezember 1952 zur ersten Stiftungsratssitzung nach dem Krieg ein. Die Einla­dungsliste bestimmte sich nach der Zusammensetzung des Stiftungs­rats in den Jahren der Weimarer Republik, wobei auf ausdrücklichen Wunsch von Vieweg der Verband der Deutschen Physikalischen Gesellschaften und der Bundes­verband der Industrie zusätzlich eingeladen wurden. Die formale Anknüpfung an die Zeit vor 1933 ging so weit, dass sich selbst For­malien und vor allem das Verlei­hungsritual des Siemens-Rings an der letzten Preisverleihung im Jahre 1930 orientieren sollten. Dagegen fanden Diskussionen über die nationalsozialistische Indienstnahme der Stiftung, die Rolle des NSBDT und der beiden Naziaktivisten Johannes Stark und Abraham Esau als Stiftungsvorsit­zende oder gar über die Ringver­leihung an Todt im Rahmen der Stiftungsratssitzung 1952 und auch später offenbar nicht statt bzw. wurden nicht öffentlich kommu­niziert. Ihre nationalsozialistische Vergangenheit sollte die Stiftung erst sehr viel später einholen. Die Stiftung selbst pflegte vielmehr lange Zeit die vermeintliche tech­nokratische Unschuld. Letztere schloss durchaus ein, dass man auf die Anfrage von Frau Todt wegen ihrer strittigen Witwenrente zwar nicht öffentlich Stellung beziehen, sich aber durchaus bei den zustän­digen Behörden dafür verwen­den wollte. Charakteristisch ist auch das Bemühen, umgehend zur „Tagesordnung“ überzugehen, sodass bereits auf der ersten Stif­tungsratssitzung ein neuer Ringträ­ger gekürt wurde. Die Wahl fiel auf Herrmann Röchling, der für seine unstrittigen Verdienste auf dem Gebiet der modernen Entwicklung der Metallurgie des Eisens geehrt wurde. Kein Wort, dass Röchling nicht nur ein hoch anerkannter Eisenhüttenfachmann und erfolg­reicher Unternehmer, sondern im Dritten Reich auch mächtiger Wehrwirtschaftsführer gewesen war, der zudem in einem besonde­ren Vertrauensverhältnis zu Hitler gestanden hatte. Darüber hinaus zählte er zu den führenden Prota­gonisten des Anschlusses des Saar­gebiets an Deutschland, der nach der Besetzung Frankreichs zum Generalbevollmächtigten für die Eisen- und Stahlindustrie in Loth­ringen aufstieg. Nach Kriegsende wurde er – wie auch schon nach dem Ersten Weltkrieg – von einem internationalen Militärgerichtshof wegen der industriellen Ausplünderung der besetzten Gebiete und der Beihilfe zu Zwangsarbeit zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Bereits 1951 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen, jedoch ein Aufenthaltsverbot für das Saarland verhängt, sodass er bis zu seinem Tod (1955) in Mannheim und Hei­delberg lebte; sein saarländisches Industrieimperium wurde zudem unter französische Zwangsverwal­tung gestellt. Was die Mitglie­der des Stiftungsrats leitete, eine politisch so diskreditierte Person zu küren, ist aus heutiger Sicht nur schwer nachzuvollziehen, zumal wir wegen der strengen Vertrau­lichkeit des Wahlverfahrens leider nichts über eventuell diskutierte Alternativen zur Person Röchlings wissen. Vielleicht mag eine Rolle gespielt haben, mit der Wahl eines Vertreters der Stahlbran­che die Eisenhüttenleute für den Siemens-Ring zu gewinnen. In die politische Landschaft der frühen Bundesrepublik, die von Konserva­tismus und starken Kontinuitäten hinsichtlich der Funktionseliten des Dritten Reichs gekennzeichnet war, passte die Wahl aber allemal. Sie scheint auch in der Gunst der Politik gestanden zu haben, wie die Teilnahme von Wirtschafts­minister Ludwig Erhard an der Verleihung des Rings im Haus des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute in Düsseldorf im folgenden Jahr zeigt. Selbst in den Pressestim­men über die Verleihung und zur Wiederaufnahme der Tätigkeit der Siemens-Ring-Stiftung findet man diesbezüglich keinerlei kritische Kommentare.

Über den Autor

Dieter Hoffmann, geboren 1948, ist seit 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck- Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, seit 2014 im Ruhestand; als apl Professor lehrte er an der Humboldt-Universität Dort hat er auch von 1967 bis 1972 Physik studiert und auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte promoviert (1976) und habilitiert (1989) Von 1976 bis 1990 forschte er als Wissenschaftshistoriker an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin und war danach u a Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung und Mitarbeiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Er ist Mitglied der International Academy of the History of Science (2001), der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften (2010) und wurde mit der Ehrennadel der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (2010) ausgezeichnet Sein Forschungsschwerpunkt ist die Wissenschafts- und Physikgeschichte des 19 und 20 Jahrhunderts, insbesondere die wissenschaftshistorische Biographik und die Genese wissenschaftlicher Institutionen Berlin als herausragendes Zentrum von Wissenschaft und Technik spielt dabei eine zentrale Rolle Ein anderer Forschungsfokus betrifft die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Forschung in totalitären Regimen, namentlich während des Dritten Reiches und in der DDR .